Gute Bausünden haben Charakter und sind unverwechselbar. Man sollte sie anschauen und lieb gewinnen, bis sie schön sind. Schlechte Bausünden sind langweilig und austauschbar.
Das ist die Botschaft von Turit Fröbe, die im Rahmen des 10. Gütersloher Stadtgesprächs in der Sparkasse diese Woche viele aufmerksame Zuhörer fand. Das Thema des Abends, "Die Kunst der Bausünde", verweist analog auf den gleichnamigen Bildband, den die Referentin "mit einem Augenzwinkern" 2013 verfasst hat. Er wurde zu einem Bestseller im Bereich der Architektur.
Jetzt hatte Dr. Michael Zirbel, Leiter des Fachbereichs Stadtplanung im Rathaus, eingeladen, mit der Architekturhistorikerin, die später auch in zusätzliches Urbanistik-Studium absolvierte, einen völlig neuen Blick auf die Stadt zu werfen. "Wir haben in den Stadtgesprächen viele Themen angesprochen" sagte er in einleitenden Worten. Immer sei es darum gegangen, was die Stadt lebens- und liebenswert mache. Die Herausgabe des vierten Heftes "Architektur in Gütersloh" war Anlass für den aktuellen Vortrag mit Diskussion und abschließender lockerer Gesprächsrunde.
"Die klassische Bausünde ist sehr viel besser als ihr Ruf" startete die aus Rheda-Wiedenbrück stammende Referentin ihren Vortrag. Soeben bekam sie eine Gastprofessur an der Universität der Künste in Berlin. "Ich will eine Lanze brechen für Bausünden," so ihr Credo nach 14 Jahren Forschung am Thema. Ein mit Betonformen umgebener Stromkasten in Bielefeld weckte erstes Interesse. Mit Fotos dieser "Bausünde" und vielen anderen gestaltete sie 2007 ihren ersten Abrisskalender. Im Verlauf der Zeit entdeckte sie immer weniger schlechte Bausünden, freute sich über jede einzelne. Aus der "absoluten Zumutung" entwickelte sich ein liebevoller Blick auf architektonische "Sünden". Zum Beispiel auf den Alexa-Bau in Berlin - auch "rosaroter Hochbunker " genannt. Anhand diverser Fotos aus Berlin und weiteren Städten erläuterte die Referentin, dass Bausünden den unverwechselbaren Charakter einer Stadt ausmachen.
Entweder entsprächen sie nicht mehr dem Zeitgeschmack, seien direkt so errichtet worden - zum Beispiel um Aufmerksamkeit zu erregen - oder nachträglich durch weitere Baumaßnahmen so geworden. Der Eifelturm in Paris zum Beispiel sei im Baujahr 1898 von den Bewohnern der Stadt als "Alptraum" angesehen worden. Heute ist er eines der bedeutendsten Wahrzeichen Europas. Einfamilienhauser, ist die Referentin überzeugt, würden alle Bausünden überleben. Ihr Vorschlag: Betrachten Sie sie als "Street Art (Straßenkunst)".