Zwischen den Interviewpartnern liegen teilweise runde 80 Jahre. Und doch haben die Schülerinnen und Schüler der Elly-Heuss-Knapp Realschule und die Bewohner des Katharina-Luther-Hauses und des Wilhelm-Florin-Zentrums Gemeinsamkeiten entdeckt: den Blick auf Gütersloh, auf Plätze, die es heute noch gibt, auf Namen und Nachrichten.
Das Ergebnis sind „Gütersloher Geschichten im Wandel der Zeit“, zusammengetragen von der Geschichts AG der Innenstadt-Schule und jetzt veröffentlicht in einer kleinen Broschüre, die unter anderem im Gütersloher Stadtarchiv, im Stadtmuseum und an der Infotheke im Rathaus ausliegt. Das ambitionierte Projekt unter der Leitung von Lehrerin Katrin Geweke zeigt einmal mehr, wie spannend der Zugang zu Geschichte sein kann, wenn er Bezüge zum unmittelbaren Umfeld der Schüler und Schülerinnen hat.
Genau das hat sich Katrin Geweke, die mit ihrer AG vor einem Jahr bereits eine App zu den Gütersloher Stolpersteinen aufbereitete, auch diesmal zunutze gemacht. So stand nicht nur das Gespräch mit den Zeitzeugen der Kriegs- und Nachkriegszeit im Mittelpunkt der Recherche, die vom Historiker Norbert Ellermann und Stadtarchivar Stephan Grimm begleitet wurden. Die jungen Historiker übten auch Interviewtechnik, machten nach einer Schulung mit dem Fotografen Carsten Borgmeier auch die aktuellen Bilder ihrer Gesprächspartner selbst, trugen Quellen zusammen und stimmten – zusammen mit Grafiker Christian Schröter das Layout ab. Die städtische Öffentlichkeitsarbeit stellte Kontakte her, den Druck finanzierte die Gütersloher Bürgerstiftung.
Im Mittelpunkt der Dokumentation stehen jedoch kurze prägnante Berichte aus einer Zeit, die fast ein Menschenleben zurückliegt und die doch in lebendigen Erinnerungen erfahrbar gemacht wird. Die älteste Inteviewpartnerin Gertrud Obdiedzynski ist 101 Jahre erzählt von einer entbehrungsreichen Kindheit im Ruhrgebiet, von der kaufmännischen Lehre in einem jüdischen Geschäft, von „Zwangsheirat“, Scheidung und Bomben auf die Firma, in der sie arbeitete. Anni Uppmann, Jahrgang 1923, geboren in Isselhorst, berichtet von Tieffliegerangriffen und dem Aufbau der Tankstelle mit Werkstatt an der B 61, gemeinsam mit ihrem Mann. Dazu stellte das Stadtarchiv Bildmaterial zur Verfügung, das auch bei der nachfolgenden Generation noch Aha-Effekte auslöst.
Hedwig Grothe, Elfriede Kramme, Konrad Kolbe und viele andere haben ebenfalls Beiträge und Bilder aus ihrem Leben beigesteuert – Geschichten von Flucht, Vertreibung, Kriegswirren und Angst, aber auch vom Neuanfang und Wiederaufbau nach dem Krieg – verbunden mit Erkenntnissen, die auch für junge Menschen ihre Gültigkeit haben: „Dass wir heute so frei sind und in einer Demokratie leben, ist sehr wertvoll,“ fasst Horst Hönisch, Jahrgang 1929, seine Erfahrungen zusammen. Und Ursula Verleger, Jahrgang 1934, wird zitiert: „Im Nachhinein würde ich nichts an meiner Kindheit ändern. Ich finde, das sind alles Lebenserfahrungen, an denen man wächst.“ Eine Botschaft, die nicht nur die jungen Inteviewpartner aufmerksam aufgenommen und sehr sorgsam zusammengestellt haben.