Der Anspruch an inklusive Schulen lautet:
Vom gemeinsamen Unterricht sollen alle profitieren – Kinder mit und ohne Handicap. Ob und wie das gelingen kann, darüber wird kontrovers diskutiert in Politik, Lehrerzimmern und Öffentlichkeit. Eine aktuelle Eltern-Umfrage zeigt: Die konkreten Erfahrungen mit Inklusion sind positiver als gedacht.
Gütersloh, 01. Juli 2015. Eltern geben inklusiven Schulen bessere Noten als Schulen, die Kinder mit und ohne Handicap getrennt unterrichten. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage von Infratest dimap für die Bertelsmann Stiftung hervor. Förderung nach individuellen Stärken und Schwächen sowie Kompetenz und Engagement der Lehrer – in allen Punkten schneiden in der Wahrnehmung der Eltern inklusive Schulen besser ab. Dies gilt unabhängig davon, ob das eigene Kind Förderbedarf hat oder nicht.
Mehr als ein Drittel (36 Prozent) der rund 4300 befragten Eltern gaben an, ihr Kind besuche eine inklusive Schule. Von diesen Eltern sind 68 Prozent mit der individuellen Förderung ihrer Kinder zufrieden. Eltern hingegen, deren Kinder eine nicht-inklusive Schule besuchen, sagen dies nur zu 58 Prozent. 66 Prozent der Eltern schätzen an der inklusiven Schule ihrer Kinder, dass sie dort in ihrem eigenen Tempo lernen können. Das sagen nur 58 Prozent der Eltern über die nicht-inklusive Schule ihrer Kinder. Auch den sozialen Zusammenhalt an inklusiven Schulen schätzen Eltern höher ein als an nicht-inklusiven Schulen (78 zu 73 Prozent).
Lehrer an inklusiven Schulen genießen höhere Wertschätzung
Die Umfrage belegt, dass Eltern insgesamt mit den Lehrern ihrer Kinder sehr zufrieden sind. Den Lehrkräften an inklusiven Schulen stellen die Eltern dabei durchweg ein besseres Zeugnis aus als den Lehrkräften an nicht-inklusiven Schulen. „Lehrer an inklusiven Schulen werden von den Eltern besonders geschätzt. Das ist ein wichtiges Zeichen für gelingende Inklusion in Deutschland“, sagte Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung. Lehrer an inklusiven Schulen gelten mehr Eltern als kompetent (89 zu 82 Prozent), engagiert (80 zu 75 Prozent), können gut erklären (86 zu 77 Prozent), fördern Stärken der Schüler (72 zu 60 Prozent), arbeiten an Schwächen (69 zu 53 Prozent) und ermutigen kindliche Interessen (72 zu 60 Prozent).
Werden die Eltern nicht nach konkreten Erfahrungen mit der Schule ihres Kindes, sondern zu allgemeinen Einstellungen gegenüber inklusivem Lernen gefragt, wandelt sich das Bild. Obwohl 7 von 10 Eltern Inklusion als gesellschaftlich wichtig einstufen, glauben 6 von 10 Befragten, dass Kinder mit Handicap auf Förderschulen besser gefördert werden. Immerhin 51 Prozent der Eltern sind der Auffassung, dass Kinder ohne Förderbedarf auf inklusiven Schulen fachlich gebremst werden.
Erfahrung verringert Skepsis
In diesem Punkt macht sich besonders stark bemerkbar, ob Eltern über Erfahrung mit Inklusion verfügen oder nicht: Während 58 Prozent der Eltern ohne Inklusionserfahrung meinen, Inklusion gehe grundsätzlich auf Kosten des fachlichen Lernens, meinen das 44 Prozent der Eltern mit Inklusionserfahrung.
Grundsätzlich gilt: Je mehr Berührungspunkte Eltern mit inklusiven Schulen haben, desto höher ihre prinzipielle Offenheit für verschiedene Gruppen von Förderschülern. Mütter und Väter, die kaum Erfahrung mit inklusiven Schulen haben, befürworten den gemeinsamen Unterricht bei Kindern mit körperlicher Beeinträchtigung zu 87 Prozent. Eltern mit Inklusionserfahrung sagen dies zu 94 Prozent. Ähnliche Unterschiede zeigt die Umfrage bei Lernschwierigkeiten (54 zu 74 Prozent), Verhaltensauffälligkeiten (34 zu 53 Prozent) und geistiger Behinderung (31 zu 42 Prozent). „Konkrete Erfahrung überzeugt Eltern von Inklusion. Ein schrittweiser Ausbau von inklusiven Schulen ist deswegen sinnvoll. Voraussetzung dafür ist, mehr Lehrer zum inklusiven Unterrichten fortzubilden“, sagte Dräger.
Wie es gelingen kann, alle Schüler – egal ob mit oder ohne Handicap – von Inklusion profitieren zu lassen, zeigen viele Schulen, die bereits seit längerer Zeit gemeinsam unterrichten. Besonders gelungene Beispiele zeichnet die Bertelsmann Stiftung zusammen mit der Bundesbeauftragten für die Belange behinderter Menschen und der Deutschen UNESCO-Kommission seit 2009 jährlich mit dem „Jakob Muth-Preis für inklusive Schule“ aus.