Die Situation der Berufsausbildung in Deutschland scheint paradox: Während Betriebe über mangelnden Nachwuchs klagen, finden viele Jugendliche keine Lehrstelle.
Der „Ländermonitor berufliche Bildung“ vergleicht erstmals die Ausbildungssituation in den 16 Bundesländern.
Die duale Berufsausbildung gerät immer stärker unter Druck: Seit 2007 ist die Zahl der Bewerber für einen Ausbildungsplatz bundesweit von 756.000 auf 613.000 gesunken. Das entspricht einem Rückgang um 19 Prozent. Die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze ging ebenfalls zurück, mit einem Minus von 13 Prozent jedoch weniger stark (von 644.000 auf 563.000). Die rechnerischen Chancen auf eine Lehrstelle haben sich somit für den einzelnen Bewerber erhöht. Davon profitieren Hauptschüler und Ausländer allerdings kaum. Ihre Zugangschancen zum dualen System verbesserten sich nur geringfügig. Das sind die Ergebnisse des „Ländermonitor berufliche Bildung“ der Bertelsmann Stiftung.
Laut der Studie hat die duale Ausbildung in Ostdeutschland in den letzten Jahren besonders an Bedeutung verloren. Seit 2007 hat sich die Zahl der Interessenten an einer betrieblichen Ausbildung nahezu halbiert (minus 47 Prozent). Dieser Einbruch hängt auch mit dem demographisch bedingten Rückgang der Schülerzahlen im gleichen Zeitraum zusammen. Auch das Angebot an Ausbildungsplätzen schrumpfte um 40 Prozent. In den neuen Ländern macht sich damit ein bundesweiter Trend besonders stark bemerkbar: Die Klein- und Kleinstbetriebe mit weniger als 50 Beschäftigten, die in den östlichen Flächenländern 98 Prozent der Betriebe ausmachen, reduzieren ihr Engagement in der dualen Ausbildung.
Nachwuchssorgen belasten Ausbildungsberufe
Auch in den westlichen Bundesländern ist die Zahl der Bewerber seit 2007 um 13 Prozent gesunken, die Anzahl der Ausbildungsstellen um 7 Prozent. „Der Trend zur Akademisierung in Deutschland ist unumkehrbar. Um die rückläufigen Bewerberzahlen auszugleichen, muss sich unser Ausbildungssystem verstärkt Jugendlichen mit schwächeren Schulabschlüssen und Migrationshintergrund sowie Flüchtlingen öffnen“, sagte Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung.
Azubis fehlen insbesondere in den Reinigungsberufen, im Gastgewerbe und in der Lebensmittelverarbeitung. In diesen Branchen gibt es die meisten unbesetzten Ausbildungsplätze. Für Ausländer und Jugendliche, die maximal einen Hauptschulabschluss haben, wird es trotzdem kaum leichter, einen Ausbildungsplatz zu finden. 2005 begannen nur 48 Prozent der Bewerber mit Hauptschulabschluss direkt eine betriebliche Lehre oder vollzeitschulische Ausbildung. 2013 waren es mit 51 Prozent nur geringfügig mehr. Große Unterschiede zeigen sich im Vergleich der Bundesländer. Während in Bayern 71 Prozent der Hauptschüler direkt eine Ausbildung beginnen, sind es in Schleswig-Holstein lediglich 37 Prozent. Wem es nicht gelingt, direkt eine Ausbildung aufzunehmen, landet zunächst in Maßnahmen des sogenannten Übergangssystems. Dort können Jugendliche jedoch keine Berufsabschlüsse erwerben.
Geringste Erfolgsquote: Hauptschulabschluss und ausländischer Pass
Die geringste Erfolgsquote bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz haben Hauptschüler ohne deutschen Pass. Nur 37 Prozent von ihnen finden direkt eine Lehrstelle, deutlich weniger als deutsche Hauptschüler (54 Prozent). Je höher allerdings der Schulabschluss, desto geringeren Einfluss hat die Nationalität. Die Erfolgsquote für den Eintritt in eine Berufsausbildung von ausländischen Schulabgängern mit Abitur oder Fachhochschulreife liegt mit 94 Prozent nur knapp unterhalb der ihrer deutschen Altersgenossen (97 Prozent). Die besten Chancen auf einen Ausbildungsplatz haben Ausländer unabhängig vom Schulabschluss in Mecklenburg-Vorpommern. 89 Prozent der ausländischen Bewerber beginnen dort eine vollqualifizierende Ausbildung – von den deutschen Altersgenossen gelingt dies nur 84 Prozent. Erheblich schlechtere Chancen haben Jugendliche ohne deutschen Pass in Bremen: Nur 41 Prozent von ihnen können in der Hansestadt direkt eine Ausbildung beginnen (Deutsche: 74 Prozent).
Schwieriger wird es, als Azubi den passenden Betrieb und als Betrieb den passenden Azubi zu finden. Dies zeigt sich nicht nur daran, dass 2013 mehr als 30.000 Lehrstellen unbesetzt blieben, obwohl es mehr Bewerber als Stellen gab. Auch der Anteil an aufgelösten Ausbildungsverträgen deutet auf wachsende Passungsprobleme hin. 2013 wurden bundesweit 25 Prozent der Verträge vorzeitig gelöst. 2007 waren es noch 21 Prozent. Am häufigsten trennen sich Lehrling und Betrieb in Berlin. 35 Prozent der Ausbildungsverhältnisse enden dort vorzeitig. Vertragslösungen sind nicht mit Ausbildungsabbrüchen gleichzusetzen, denn häufig wird die Ausbildung in einem anderen Betrieb fortgesetzt.
„Auf die Bewerberrückgänge der vergangenen zehn Jahre muss das Berufsbildungssystem reagieren“, sagte Dräger. Bessere Berufsorientierung in den Schulen, intensivere Betreuung der Betriebe und der Azubis sowie eine Flexibilisierung der Ausbildungsgänge seien Maßnahmen, um das duale System zu öffnen und zu stärken. Dräger plädierte auch für eine staatliche Ausbildungsgarantie: „Eine abgeschlossene Berufsausbildung ist das Minimum, mit dem junge Menschen das Bildungssystem verlassen sollten“, sagte Dräger, der vor allem das derzeitige Übergangssystem für reformbedürftig hält.