Die alte Dame soll nach einem Schlaganfall ins Pflegeheim. „Meine Familie lässt mich im Stich“, sagt sie verbittert. „Und dabei war ich immer für sie da. Was soll man dazu sagen?“ Die Frage ist berechtigt. Was soll das Gegenüber sagen? Mitleid äußern? Um Verständnis für die Familie bitten, in der alle Vollzeit arbeiten? Beide Reaktionen liegen nahe – doch hilfreich ist keine von ihnen. Haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter der Diakonie Gütersloh erlernen derzeit, wie man mit solchen Gesprächssituationen besser umgehen kann: in einem Grundkurs der Kurzzeitseelsorge.
„Wir wollten unseren Mitarbeitenden für schwierige Gesprächssituationen das nötige kommunikative Rüstzeug an die Hand geben“, erklärt Pflegedienstleitung Marion Birkenhake die Hintergründe des Kurses, der von der „Arbeitsgemeinschaft Kurzgespräch (AgK) in Seelsorge und Beratung“ ausgerichtet und durch die Evangelische Stiftung Gütersloh, die Bürgerstiftung und den Rotary Club Gütersloh finanziert wird. „Gerade für ältere, alleinlebende Menschen werden sie mit der Zeit zu einem wichtigen Ansprechpartner – und in der Folge auch mit vielen Sorgen und Nöten konfrontiert“, so Marion Birkenhake. „Dann die richtigen Worte zu finden und dem Betroffenen idealweise auch noch weiterzuhelfen, ist nicht leicht.“
Zumal für die Gespräche oft nicht viel Zeit bleibt: Pflegekräfte und Ehrenamtliche müssen irgendwann weiter. Deswegen auch der Name „Kurzzeitseelsorge“. „Diese Art der Seelsorge hat nicht das Ziel, kurz zu sein “, erklärt AgK-Kursleiter Hans König, ehemaliger Superintendent der Evangelischen Kirche von Westfalen. „Aber die jeweilige Gesprächssituation gibt das eben vor. Unser Ziel ist es deswegen, dass das Gespräch trotz der kurzen Zeit dem Gegenüber weiterhilft.“
An mehreren Schulungstagen bis Mitte April sollen die 15 Teilnehmer die dafür nötigen Grundlagen erlernen – etwa verschiedene Gesprächstechniken ebenso wie die richtige Betonung und Sprache. Und vor allem sollen sie üben, üben, üben. „Das ist jetzt wie früher in der Fahrschule: viele Dinge auf einmal, die Sie beachten müssen“, scherzt Hans König am ersten Seminartag, bevor er die Teilnehmer in Kleingruppen die Grundlagen zum ersten Mal üben lässt. Dazu gehört zum Beispiel, den Kummer des Gegenübers nicht zu bewerten und keinen Trost zu spenden, sondern ihn vielmehr sprichwörtlich zu „verstören“, so König. „Indem er eben nicht so über seine Probleme reden kann wie sonst.“ Stattdessen solle er seine Opferrolle verlassen und selbst aktiv werden – den ersten Schritt tun, um etwas an seiner Situation zu ändern. Wenn der Seelsorger darauf verzichte, ein – eventuell großes – Problem in der zur Verfügung stehenden kurzen Zeit lösen zu wollen, sei wiederum Zeit vorhanden, um einen ersten „gehbaren“ Schritt zu erarbeiten. „Und daraus erwächst Hoffnung“, so König. „Manchmal wirkt die Methode etwas heftig“, räumt er ein, „aber sie kommt sofort zum Punkt. Natürlich müssen die Kurzzeitseelsorger ihre Botschaft vorsichtig und freundlich rüberbringen. Das müssen sie üben.“
Dass das nicht ohne ist, merken an diesem Tag auch die Teilnehmer, die sich von dem Kurs viel versprechen. „Gerade im Umgang mit den Angehören von Demenzkranken könnte die Kurzzeitseelsorge gut funktionieren“, findet zum Beispiel Lucia Kleinemas, Ehrenamtliche in der Diakonie-Demenzhilfe. Für einen Außenstehenden ist es schließlich nicht immer leicht, die richtigen Worte zu finden – das weiß Birgit Päge aus eigener Erfahrung. Die Altenpflegerin hat ihre Tochter verloren und weiß, wie es sich als Betroffener anfühlt, wenn Mitmenschen um die richtigen Worte ringen. Sie hofft, dass sie genau das im Kurs lernt – „damit man sich in solchen Gesprächen nicht so unbeholfen verhält, wie es mir gegenüber bisweilen passiert ist.“ „Bei Sprachlosigkeit kann das eine gute Brücke sein“, ergänzt Annette Harnischfeger. Die Sprecherin der Selbsthilfegruppen im Kreis Gütersloh arbeitet ehrenamtlich viel mit Schlaganfall-Patienten und ihren Angehörigen zusammen. „Die Techniken des Kurzgesprächs eignen sich hier sicherlich als hilfreiche Einstiegsmöglichkeit.“
Und wie funktioniert das nun, mit dem ersten Schritt? Hans König greift das Beispiel mit der alten Dame wieder auf, die ihm einst im Krankenhaus begegnet war und ins Heim sollte: „Was soll man dazu sagen?“ Die Lösung klingt am Ende ganz simpel. „Ich fragte sie, wem sie denn etwas sagen wolle“, erklärt er. „Am Ende kam heraus, dass sie einfach mit ihrer Nichte über alles sprechen wollte. Die Pflegekraft hätte in diesem Fall also die Telefonnummer der Nichte organisieren und so ein Treffen ermöglichen können.“ Auf den ersten Blick eine ganz praxisnahe und einfache Antwort – die man aber nur abseits gewohnter Gesprächsmuster erreicht.