„Sie müssen alle Pflege-Töpfe voll ausschöpfen“
Manchmal ist es ein schleichender Prozess, manchmal passiert es urplötzlich durch einen Schlaganfall oder Herzinfarkt: Wenn Angehörige pflegebedürftig werden, müssen Kinder, Enkel oder die Ehepartner ihren Alltag umkrempeln. Sei es, weil sie selbst pflegen, sei es, weil sie die Pflege durch einen Dienstleister organisieren müssen. In beiden Fällen stehen sie jedoch vor der Frage: Welche Leistungen gesteht mir die Pflegeversicherung zu? Über die seit diesem Jahr gültigen Änderungen hat die Diakonie Gütersloh jetzt in einer fünfteiligen Veranstaltungsreihe im Kreisgebiet informiert. Gestern ist sie zuende gegangen. Insgesamt kamen rund 100 Zuhörer zu den Vorträgen.
Seit dem 1. Januar gilt das Pflegestärkungsgesetz I. Mit ihm hat die Bundesregierung nicht nur die einzelnen Leistungen hochgeschraubt: Die einzelnen Bausteine lassen sich nun auch anders kombinieren. Wird beispielsweise das Geld für die Kurzzeitpflege nicht aufgebraucht, kann es die Leistungen der sogenannten Verhinderungspflege aufstocken – hier bezahlt die Pflegeversicherung eine Vertretung, wenn der pflegende Angehörige krank oder im Urlaub ist. Leicht verständlich ist vielen Angehörigen das Gesetz in all seinen Facetten jedoch nicht.
„Es ist ein komplexes Thema“, seufzte eine Frau, die diese Woche den Vortrag in der Diakoniestation Gütersloh besucht hat. Sie muss sich regelmäßig um ihre pflegebedürftige Mutter kümmern, ihren Namen will sie aber nicht nennen. „Man fängt auf jeden Fall erst dann an, sich zu informieren, wenn man einen betroffenen Angehörigen hat“, erzählte sie. Und das sei, fügte sie hinzu, eigentlich zu spät. Den Vortrag in Gütersloh hat sie besucht, um über die Neuerungen auf dem Laufenden zu sein – gemeinsam mit rund 15 weiteren Zuhörern. Die Reihe der Fragen an Referentin Heike Schulze, Bereichsleitung Pflegewohngemeinschaften bei der Diakonie, war lang und meist konkret. „Wie lange kann ich nicht gebrauchte Leistungen zurückstellen?“ „Wie lassen sich diese auf das Pflegegeld anrechnen?“ Oder: „Meine Schwiegermutter hat Pflegestufe zwei, braucht nachts aber Hilfe – sie kann nicht alleine zur Toilette. Warum erhält sie nicht Pflegestufe 3?“
„Sie müssen auf jeden Fall schauen, dass Sie alle Töpfe gut ausschöpfen“, mahnte Heike Schulze die Teilnehmer. Durch die neue Kombinierbarkeit der verschiedenen Bausteine kann ein pflegender Angehöriger unter Umständen sogar weit mehr als 1.000 Euro im Jahr zusätzlich an Geld- und Sachleistungen beantragen. Neu sei zudem, dass künftig auch Menschen in die Pflegestufe 0 (eingeschränkte Alltagskompetenz) fallen, die zwar noch körperlich fit sind, deren kognitive Fähigkeiten aber nachlassen – beispielsweise bei beginnender Demenz. „Solche Menschen können sich beispielsweise noch alleine waschen – aber sie tun es nicht, wenn niemand danebensteht“, erklärte Schulze. Diese Pflegebedürftigen haben nun unter anderem Anspruch auf Tages- und Nachtpflege – das war vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes anders. Ohnehin richte sich das Augenmerk nun deutlich stärker auf Demenzkranke, so Schulze. „Das ist die große Änderung in diesem Jahr.“
Des Weiteren seien die monatlichen finanziellen Zuschüsse sowohl für pflegende Angehörige als auch für Pflegedienste erhöht worden. Und da die Beträge für die verschiedenen Leistungen nun stärker kombiniert und untereinander verschoben werden dürfen, landet deutlich mehr Geld bei Pflegebedürftigen und Angehörigen. In der Verhinderungs- oder Kurzzeitpflege ist so ein Plus von bis zu 50 Prozent möglich, bei Betreuungs- und Entlastungsleistungen sind bis zu 40 Prozent drin. Ebenfalls deutlich gewachsen sind die Zuschüsse zur sogenannten Wohnraumanpassung, die dann gezahlt werden, wenn der Pflegebedürftige etwa eine Rollstuhlrampe, eine behindertengerechte Dusche oder ähnliches benötigt. Statt wie bisher 2.557 Euro werden nun bis 4.000 Euro pro Maßnahme gezahlt. Und nicht zuletzt hat sich die soziale Absicherung für pflegende Angehörige verbessert.
Damit ist die laufende Aktualisierung der Pflegeversicherung indes noch nicht vorbei. „2017 tritt schon das Pflegestärkungsgesetz II in Kraft“, so Heike Schulze. „Die genaue Regelung ist noch unklar, aber auch da wird sich noch einiges ändern.“ Fest stehe etwa, dass die bisherigen Pflegestufen durch neue Pflegegrade abgelöst werden.
Weitere Infos zu den Veränderungen in der Pflegeversicherung gibt es auch im Internet beim Bundesgesundheitsministerium unter
tinyurl.com/pzb7tws
oder bei der Diakonie
www.diakonie-guetersloh.de