Gütersloh, 15. April 2015. Deutsche und Polen erwarten von ihren eigenen Regierungen und dem jeweils anderen Land, in der Politik gegenüber Russland Kurs zu halten. Das geht aus einer aktuellen Umfrage von TNS Emnid und TNS Polska für die Bertelsmann Stiftung hervor. Zwar empfinden beide Länder ihre Bedrohungslage unterschiedlich, woraus der polnische Wunsch nach größerer Vorsicht gegenüber Russland resultiert. Im Tenor jedoch sind sich Deutsche und Polen einig: Klare Position im Ukraine-Konflikt, aber keine weitere Eskalation
Trotz grundsätzlich ähnlicher Interessen schien sich in den vergangenen Monaten das Bild zu festigen, Polen und Deutsche würden den russisch-ukrainischen Konflikt unterschiedlich bewerten. Die Umfrage, die die Bertelsmann Stiftung gemeinsam mit dem Warschauer Institut für Öffentliche Angelegenheiten in Auftrag gegeben hatte, zeigt: Es gibt mehr Verbindendes als Trennendes.
So sind sich Deutsche und Polen einig in der Bewertung der Beziehungen zu Russland. Auf beiden Seiten von Oder und Neiße bezeichnen mehr als zwei Drittel der Befragten (78 Prozent) die Beziehungen des eigenen Landes zu Russland als schlecht. Beide Bevölkerungen erkennen eine deutliche Verschlechterung, ausgelöst vor allem durch den Ukraine-Konflikt. Für diesen Konflikt sehen die Deutschen zu fast gleichen Teilen Russland (39 Prozent) oder beide Seiten (43 Prozent) verantwortlich. In Polen sagt eine Mehrheit (61 Prozent), Russland sei der alleinige Verursacher.
In Polen, das eine gemeinsame Grenze mit Russland hat, fühlen sich 78 Prozent vom großen Nachbarn bedroht. „Die Angst vor dem russischen Militär ist auch historisch bedingt“, sagte Gabriele Schöler, Projektleiterin der Umfrage in der Bertelsmann Stiftung. Von Russland unmittelbar bedroht sehen sich auch in Deutschland immerhin 41 Prozent der Befragten.
Entsprechend kritischer bewerten die Polen die Außenpolitik ihrer Regierung und die Deutschlands. Während die Deutschen den Umgang der Bundesregierung mit der russisch-ukrainischen Krise überwiegend positiv beurteilen (53 Prozent), ist eine knappe Mehrheit der Polen mit den Maßnahmen der eigenen Regierung nicht einverstanden (51 Prozent). Eher negativ betrachten die Polen auch die Haltung der deutschen Regierung im Ukraine-Konflikt, die nur 28 Prozent angemessen und gut finden.
In Deutschland (67 Prozent) ebenso wie in Polen (76 Prozent) befürworten deutliche Mehrheiten die Sanktionen gegenüber Russland. Während aber nur 23 Prozent der Deutschen die derzeitigen Sanktionen verschärfen möchten, sprechen sich 41 Prozent der Polen für schärfere Maßnahmen der EU aus.
Zu wirtschaftlicher Unterstützung für die Ukraine bereit sind mehrheitlich sowohl Polen als auch Deutsche (jeweils 56 und 55 Prozent). Aber weder Deutsche (82 Prozent) noch Polen (56 Prozent) sind derzeit dafür, militärische Unterstützung zu leisten. Schöler wertet dies als „klares Signal, dass beide Gesellschaften die Konfrontation mit Russland nicht verschärfen wollen.“
Die Beurteilung der Russland-Politik der jeweils anderen Nation spiegele Stereotype, aber auch Befürchtungen: „Die Polen befürchten nach wie vor mehrheitlich, dass sie von Deutschland nicht als gleichberechtigter Partner wahrgenommen werden, während die Deutschen oft die historisch bedingten Ängste der Polen gegenüber Russland nicht ernst genug nehmen“, so Agnieszka Łada, Projektleiterin auf polnischer Seite.
Gabriele Schöler folgert aus der Umfrage: „Das Maß an Gemeinsamkeiten in der Bevölkerung sollten die Regierungen in Berlin und Warschau als wichtige Ressource für eine gemeinsame Ostpolitik betrachten. Sie haben in vielerlei Hinsicht gemeinsame Interessen, ziehen am selben politischen Strang und wissen dabei auch ihre Bevölkerung hinter sich. Polen und Deutschland können somit tragende Säulen einer neuen europäischen Ostpolitik werden.“
Die repräsentative Umfrage wurde vom 13. bis 21. Februar 2015 in Deutschland vom Institut TNS EMNID und in Polen von TNS Polska unter jeweils 1.000 Personen über 18 Jahren in Form von Face-to-face-Interviews durchgeführt. Auftraggeber waren die deutsche Bertelsmann Stiftung und das polnische Institut für Öffentliche Angelegenheiten. Die Bertelsmann Stiftung und das Institut für Öffentliche Angelegenheiten stellen die Umfrageergebnisse am 16. April in Warschau bei der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit und am 17. April in der Berliner Repräsentanz der Bertelsmann Stiftung vor.