Schriftenreihe des Kreisarchivs Gütersloh!
Gütersloh. Das Strafgefangenenlager Oberems war einst eines der größten deutschen Gefangenenarbeitslager und ist dennoch heute ein Stück weit in Vergessenheit geraten.
Das liegt auch daran, dass es keinen zentralen Ort gibt, an dem heute die Erinnerung wach gehalten werden könnte: Das Lager Oberems war nicht ein großes, von Stacheldraht umzäuntes Gefängnis, sondern bestand aus Dutzenden kleiner Lager, die sich überwiegend auf das Gebiet des heutigen Kreis Gütersloh verteilten. In Gütersloh war auch die Verwaltung des Lagers angesiedelt. Das Strafgefangenenlager Oberems ist bisher nur unzureichend erforscht. Die nun in der Schriftenreihe des Kreisarchivs erschienene Studie von Karina Isernhinke schließt daher eine Lücke.
In ihrem Buch beantwortet Isernhinke die wichtigsten Fragen: Wie entstand das Strafgefangenenlager? Wie war es als Teil des nationalsozialistischen Lagersystems organisiert? Welche Menschen waren hier inhaftiert? Wie sah der Alltag der männlichen und weiblichen Häftlinge aus? Die Arbeit entstand im Rahmen einer Magisterarbeit an der Universität Bielefeld. Sie wurde für die Veröffentlichung in der Schriftenreihe des Kreisarchivs noch einmal überarbeitet und korrigiert. Die Autorin hat für die Studie zahlreiche Interviews mit Zeitzeugen geführt und umfangreiche Quellen im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen sowie in den kommunalen Archiven im Kreis Gütersloh ausgewertet.
Das Strafgefangenenlager Oberems war eines der vier großen Gefangenenarbeitslager im Deutschen Reich und das einzige Lager in Westfalen. Bereits im Kaiserreich war die Gefangenenarbeit in Oberems eingeführt worden, erfuhr jedoch nach 1933 eine erhebliche Ausweitung. Zunehmend wurden auch politische Häftlinge in den Außenarbeitslagern inhaftiert, die sich mehrheitlich auf den heutigen Kreis Gütersloh verteilten. Natürlich gab es auch weiterhin eine große Anzahl von Menschen, die wegen gewöhnlicher Delikte wie Diebstahl, Sittlichkeitsverbrechen, Kuppelei, Betrug, Hausfriedensbruch oder Körperverletzung verurteilt worden waren. Auffällig ist jedoch, dass bis 1945 auch etliche Verurteilungen wegen des Verdachts der „Heimtücke“, der „Wehrkraftzersetzung“ oder „Vorbereitung zum Hochverrat“ nachweisbar sind. Es ist davon auszugehen, dass zwischen 1933 und 1945 etwa 30 Prozent der Häftlinge im Strafgefangenenlager Oberems aus politischen Gründen inhaftiert waren.
Das Strafgefangenenlager Oberems umfasste nach jetzigem Kenntnisstand für die Zeit von 1900 bis zu der Auflösung der Außenstellen und der Eingliederung in die heutige JVA Bielefeld-Senne etwa 52 so genannte Kommandos, im Nationalsozialismus auch als „Arbeitsstellen von Oberems“ bezeichnet, davon acht reine Frauenlager. Die Gefangenenarbeitsstellen bestanden in der Regel aus einem Haupthaus mit Anbau. Im Haupthaus befanden sich in der unteren Etage zumeist ein Sammelschlafraum, eine Küche, ein Baderaum und ein Zimmer für das Aufsichtspersonal, das mit einem Späher versehen war, um die Gefangenen, die zusammen in einem Raum schliefen, jederzeit beobachten zu können.
Die folgenden Beispiele zeigen einige ausgewählte Schicksale von politischen Gefangenen. Die Oberems-Gefangene Paula H. wurde am 1. August 1944 wegen „heimtückischer Äußerungen hetzerischer Art“ vom Sondergericht Bielefeld zu vier Monaten Gefängnis und zur Kostenübernahme des Verfahrens verurteilt. Die 24-Jährige arbeitete zuvor als Hausgehilfin in einem Sanatorium und war Betriebsobmann der NS-Betriebszellenorganisation. Die Küchenleiterin denunzierte Paula H., nachdem diese bei einem persönlichen Gespräch über die militärischen und politischen Verhältnisse gesagt haben soll, „Joseph Goebbels hat immer einen großen Mund und redet mal so und mal so“. Weiterhin sei es ihr egal, welche Nationalität sie nach dem Krieg trage – wichtig sei, dass sich die ökonomischen Verhältnisse besserten. Diese politische, spontan und beiläufig gefallene Meinungsäußerung stellte in den Augen des Sondergerichts Bielefeld im Jahr vor Kriegsende bereits eine „Hetze“ gegen Volk und Vaterland dar. Die Angeklagte wurde am 1. Oktober 1944 in das Lager Wiedenbrück III gebracht.
Die Eltern der Musiklehrerin und Musikerin Waltraud K. wurden, da sie zu der seit 1933 verbotenen Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas gehörten, im Jahr 1941 nach Ravensbrück und in ein Zuchthaus in Kassel deportiert. Auf Grundlage der „Reichsbrandverordnung“ wurde die Verfolgung von „Ernsten Bibelforschern“, später als Zeugen Jehovas bezeichnet, rechtlich legitimiert. Auch Waltraud K., die sich um das leer stehende Haus der Eltern gekümmert hatte, wurde vom nahen Umfeld, den Mietern des Hauses ihrer Eltern angezeigt, daraufhin verhaftet und verurteilt. Im Jahr 1941 wurde sie für zwei Jahre im Strafgefangenenlager Oberems inhaftiert.
Der im Widerstand tätige Belgier Gustave M. wurde von der Feldgendarmerie in seinem Wohnhaus verhaftet und am 18. Oktober 1943 nach einer zweimonatigen Untersuchungshaft von dem Gericht der Oberfeldkommandantur in Lüttich zu einer Haftstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. M. wurde der „Begünstigung, Entziehung der Arbeitspflicht und Urkundenfälschung“ verdächtigt. Einen Tag vor Heiligabend, am 23. Dezember 1943 erreichte er das Oberems-Außenlager Harsewinkel. Er verstarb hier am 16. März 1944. Als offizielle Todesursache wurde eine „Blutvergiftung“, evoziert durch einen Abszess am Oberschenkel, angegeben. Aufgrund von Zeugenaussagen damaliger Mithäftlinge ist allerdings davon auszugehen, dass er infolge von Misshandlungen, mangelnder Hygiene und der anhaltenden Nahrungsmittelknappheit verstorben ist.