Gütersloh (gpr). Mit der Übergabe von sieben konkreten Projektempfehlungen an den Stadtrat hat der erste Bürgerratsprozess in Gütersloh sein vorläufiges Ende gefunden.
Nun liegt der Ball bei den Ratsfraktionen: Sie sind am Zuge zu entscheiden, welche der Themen sie aufgreifen und konkretisieren wollen. Die Ideen und Impulse sollen nicht versanden – darin waren sich Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Parteien in ihren Wortbeiträgen in der jüngsten Ratssitzung einig. Allein schon die erstmalige Erfahrung eines Bürgerratsprozesses als neuartiges Instrument der Beteiligung in Gütersloh gemacht zu haben, sei ein Erfolg, so der Tenor. Alle sprachen den 27 Akteuren des Bürgerrats, den beauftragten Prozessbegleitern von Losland sowie Projektleiter Maik Schrey vom städtischen Fachbereich Ratsangelegenheiten und Bürgerdialog ihren Dank aus. Bürgermeister Norbert Morkes schloss sich ausdrücklich an und gab eine Richtung vor: „Das soll nicht der letzte Bürgerrat in Gütersloh gewesen sein.“
27 nach dem Zufallsprinzip ausgeloste Einwohnerinnen und Einwohner haben den ersten Gütersloher Bürgerrat gebildet. An einem intensiven Workshop-Wochenende Mitte September haben sie ihre Vorstellungen zu der Leitfrage „Enkeltaugliches Gütersloh: Wie und was können wir in Gütersloh teilen, um zusammen nachhaltiger zu leben?“ diskutiert und zu Projektideen entwickelt. Anschließend hatte im Zuge eines öffentlichen Zukunftsforums sowie einer Online-Beteiligung die gesamte Stadtgesellschaft Gelegenheit, die Ideen zu kommentieren und zu unterstützen. Die meiste Unterstützung erhielten die sieben Projektideen in dieser Reihenfolge:
1. Bürgergenossenschaft Erneuerbare Energien
(Ihre Gründung soll allen Bürgern preisgünstigen Zugang zu selbsterzeugter „grüner“ Energie ermöglichen. Alle können Anteile an lokalen Windkraft- und Photovoltaikanlagen kaufen.)
2. Keimzelle einer neuen Innenstadt
(Durch ein innovatives Konzept für den Berliner Platz mitsamt der ehemaligen Karstadt-Immobilie soll dort ein attraktiver Begegnungsraum mit verschiedenen Angeboten für alle Generationen entstehen und das Stadtzentrum belebt werden – auch jenseits von Ladenöffnungszeiten. Ein begrünter Berliner Platz und ein fassadenbegrüntes Haus mit Bürgertreff, Rooftop-Bar, Kinderbetreuung, Food Court und anderen Angeboten könnten einen neuen, lebendigen Anlaufpunkt in der City darstellen, an dem Menschen miteinander in Kontakt kommen.)
3. Öko-Park/Urban Garden
(Die Gütersloher Parks sollen ökologischer genutzt beziehungsweise nachhaltig umgestaltet und zu attraktiven Gemeinschaftsräumen werden, in denen die Generationen miteinander teilen. Die Erlaubnis zum Obstpflücken für den Eigenbedarf soll deutlicher gemacht werden; Obstwiesen könnten entlang der Dalke entstehen und Flächen für Gemeinschaftsgärtnern – Urban Gardening – bereitgestellt werden. In den Stadtteilen sollen kleine, fußläufig erreichbare Parks geschaffen werden.)
4. Langfristiger Bürgerrat
(Der erstmals durchgeführte Bürgerrat soll als langfristiges Instrument in Gütersloh verankert werden als Format für Bürgermeinung. Im Losverfahren ermittelte Einwohnerinnen und Einwohner kommen zu unterschiedlichen Themen zusammen. So wird der Dialog zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen gefördert.)
5. Miteinander leben, teilen, helfen
(Jung und Alt sollen gezielt zusammengebracht werden und dabei voneinander profitieren. Beispiel: Durch Wohnprojekte – Jung zieht zu Alt ins Haus – könnten große Häuser wieder mit Leben gefüllt, Wohnraum nachhaltig genutzt und die Selbstständigkeit von Senioren länger erhalten bleiben; Junge lernen von den Älteren, die ihren Erfahrungs- und Wissensschatz teilen, etwa in Handwerk und Haushalt; gegenseitige Hilfe bei Einkäufen und Kinderbetreuung).
6. Kommunikation – Wissen – Information
(Informationen „von Güterslohern für Gütersloher“ sollen einfacher, niedrigschwelliger und zentral zu finden sein, damit alle Bürger erreicht werden. Ein Kompetenzteam soll das zentral steuern. Denkbar sind auch eine Austauschplattform, ein Bürgertelefon und ähnliche Anlaufstellen.)
7. Gut zusammen wohnen
(Mehrgenerationenwohnen und die Gemeinschaftsnutzung von Gärten sollen forciert werden. Viele ältere Menschen leben allein und sind einsam, viele jüngere Familien leben in Mietwohnungen ohne Garten. Durch Zusammenbringen in gemeinsame Wohnkonzepte könnten alle ihre Lebenssituation verbessern.)
„Der erste Bürgerrat ist von motivierten und engagierten Gütersloherinnen und Güterslohern gestaltet worden, und viele von ihnen wollen an den Empfehlungen weiterarbeiten, die sie jetzt der Politik übergeben haben“, resümiert Maik Schrey, Projektleiter im Rathaus und stellvertretender Leiter des Fachbereichs Ratsangelegenheiten und Bürgerdialog. Das sei eine große Chance für neue und nachhaltige Begegnungen von Kommunalpolitikern und Nicht-Mandatsträgern, Stadtverwaltung und Stadtgesellschaft.
Mit der erstmaligen Durchführung eines Bürgerrats wurde die Stadtverwaltung im November 2021 vom Rat beauftragt. Grundlage war ein Bürgerantrag der Initiative Demokratie wagen e.V. Gesteuert wurde der Prozess durch eine Steuerungsgruppe, der Mitglieder von Rat und Verwaltung sowie Losland angehörten. Losland als von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördertes Modellprojekt begleitet zehn Kommunen in Deutschland bei Beteiligungsprozessen. Dazu gehört auch eine wissenschaftliche Evaluation. Die Steuerungsgruppe legte die Leitfrage für den Bürgerrat fest: „Enkeltaugliches Gütersloh: Wie und was können wir in Gütersloh teilen, um zusammen nachhaltiger zu leben?“ Im Sommer 2022 wurden 780 Gütersloherinnen und Gütersloher nach dem Zufallsprinzip aus dem Melderegister ermittelt und zur Teilnahme eingeladen. 110 meldeten sich mit Zusage oder Absage zurück – das entsprach einer über den Erwartungen liegenden Rücklaufquote von 14 Prozent –, davon 65 Personen mit einer Interessensbekundung, und aus diesen wurden die 27 Bürgerräte mit dem Ziel ausgewählt, eine möglichst hohe Diversität abzubilden. Und so waren im Bürgerrat Menschen aus allen zwölf Stadtbezirken vertreten, alle Geschlechter, unterschiedliche Herkunftsländer sowie eine Altersspanne, die von 16 bis 74 Jahren reichte.
www.buergerrat.guetersloh.de
Bild: Übergabe der Projektempfehlungen des ersten Gütersloher Bürgerrats an den Stadtrat bei dessen Sitzung am 11.11.2022 in der Stadthalle: (v. l.) Angelika Arnold (Bürgerrat), Thomas Dominikowski (Steuerungsgruppe, Bündnis 90/Die Grünen), Gertrud Werneke (Bürgerrat), Maik Schrey (Stadt Gütersloh, Projektleiter, stellvertretender Leiter Fachbereich Ratsangelegenheiten und Bürgerdialog), Kathrin Hirnschal (Bürgerrat), Matthis Haverland (Steuerungsgruppe, SPD), Gabriele Broens (Bürgerrat) und Christiane Ziegele (Steuerungsgruppe, BfGT). (Foto: Stadt Gütersloh)