Das menschliche Gehirn ist ein Wunderwerk der Natur. Seine Komplexität ist ohne Vergleich, seine Funktionsweise längst nicht vollständig ergründet – was die Heilung neurologischer Erkrankungen lange so schwierig machte. Doch immer neue, zum Teil spektakuläre Fortschritte in der medizinischen Forschung und Behandlung auf dem Gebiet der Neurologie lassen Patienten wie Wissenschaftler hoffen.
Einen nicht unbedeutenden Anteil an diesen Fortschritten hat Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult. Madjid Samii. Der aus dem Iran stammende und in Deutschland ausgebildete Neurochirurg hat neue Operationsmethoden entwickelt, die weltweit als bahnbrechend gelten – und auch im Alter von 78 Jahren und nach mehr als 20.000 Gehirnoperationen ist er noch als Chirurg und Wissenschaftler aktiv. Über den neuesten Stand der Hirnforschung und der Behandlung von Hirnerkrankungen gab der Wissenschaftler gestern Abend im Rahmen der Diskussionsveranstaltung „Bertelsmann Forum“ im Gütersloher Corporate Center Auskunft. Liz Mohn und der Bertelsmann-Vorstandsvorsitzende Thomas Rabe begrüßten rund 400 Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in der Region zu einer spannenden Vortrags- und Diskussionsrunde. Die Moderation übernahm Christoph Kucklick, Chefredakteur der G+J-Zeitschrift „Geo“.
„Das Gehirn – ein biologischer Computer“ war das von der Bertelsmann-Unternehmenskommunikation veranstaltete Forum durchaus provokant betitelt, und das nicht ohne Grund: Denn während die alten Ägypter das Herz eines gestorbenen Pharaonen aufbewahrten, das Gehirn jedoch entsorgten, während Aristoteles ebenfalls im Herzen den Sitz der Seele wähnte und dem Denkorgan höchstens eine kühlende Funktion des Blutes zugestand, haben sich die Kenntnisse über das Gehirn und vor allem die technischen Möglichkeiten eines medizinischen Eingriffes so weit entwickelt, dass es nicht wenigen schon wieder ein wenig unheimlich wird. Demgegenüber steht der rasante Fortschritt in der Computertechnologie, die andere wiederum in nicht allzu ferner Zukunft in der Lage wähnen, die Leistungen des menschlichen Gehirns zu überflügeln. Insbesondere mit dieser Vorstellung wollte der auch in seinem Vortrag äußerst engagierte Madjid Samii ein für alle Mal aufräumen: „Computer werden zwar immer schneller und leistungsfähiger, aber was ihnen immer fehlen wird, sind eine für viele Entscheidungen nötige Intuition oder natürlich Gefühle“, nannte der Wissenschaftler einige Beispiele. Und selbst gegenüber dem vieldiskutierten autonomen Fahren eines Autos zeigte er sich skeptisch: „In den nächsten 20 Jahren glaube ich nicht daran“, postulierte er. Dafür forderte er mehr Einsatz des Staates für die frühkindliche Bildung.
Im Fokus seiner Ausführungen standen die Möglichkeiten, die sich unter anderem auch durch seine eigenen Forschungen an dem 2000 von ihm gegründeten Neuroscience Institute in Hannover ergeben haben – die er in seiner packenden Darstellung nicht nur wortreich und für Laien verständlich erläuterte, sondern auch mit Fotos und Filmeinspielern eindrucksvoll belegte. So konnte vor einigen Jahren zum Beispiel ein Mädchen trotz der schwierigen Position eines Gehirntumors weitgehend ohne Folgen operiert werden – weil präzise Bilder die exakte Lage des Tumors angaben. Und bei einem Jungen konnte nach einem Schlaganfall durch ebenso präzise Vorbereitungen und eine entsprechende genaue Operation das noch funktionsfähige, aber gestörte Gewebe neben dem eigentlichen Krankheitsherd wieder aktiviert werden – das ursprünglich vollständig gelähmte Kind erlangte seine verlorene Bewegungsfähigkeit zurück. Es sind rührende und motivierende Momente wie dieser, die Samii nach eigener Auskunft die Kraft geben, die bis zu 16-stündigen Operationen durchzustehen. „Das ist dann nicht mehr Arbeit, sondern Faszination, einem Menschen geholfen zu haben. Da ist keine Müdigkeit, sondern Euphorie“, fasst er die Stimmung zusammen, die ihn und seine Kollegen bis heute in ähnlichen Situationen immer wieder erfasst – und von dem die Zuhörer im Corporate Center einen Hauch erspüren konnten.
Voraussetzung für diese modernen Methoden waren natürlich jahrzehntelange Forschungen vieler Forscher rund um den Globus, die der Wissenschaftler in einem kurzen historischen Abriss darstellte, sowie auch eigene Erkenntnisse. So war Majii 1966 einer der weltweit sehr wenigen Ärzte, die Eingriffe an Nerven und Gefäßen im Gehirn mit Hilfe von Operationsmikroskopen vornahmen und damit die Mikrochirurgie weiterentwickelten. Zudem gilt er als einer der Pioniere der bildgebenden Verfahren – der vor rund zehn Jahren mit der Kernspintomografie der endgültige Durchbruch gelang, wie Sanii anhand von Bildern anschaulich erklärte. Nur mithilfe solcher Verfahren sei es möglich, die erkrankte Region eines Gehirns genau zu lokalisieren. Doch auch mit der Einführung der Nerventransplantation machte sich der Wissenschaftler und Arzt weltweit einen Namen –einer Behandlungsmethode, die er nun mit weiteren Entwicklungen wie der Neurobionik fortsetzen will. Dabei geht es um die Vereinigung von Neurowissenschaften, Biologie und Technik, etwa in Form von elektronischen Implantaten, die sowohl Parkinson-Patienten wie auch Querschnittsgelähmten helfen könnten.
„Die technische Entwicklung geht immer weiter“, schloss Samii seinen spannenden wie inspirierenden Vortrag, bevor zunächst Christoph Kucklick und dann die Gäste Gelegenheit für Fragen nutzten. „Das darf jedoch nicht dazu führen, dass wir alles machen, was möglich ist“, mahnte er. Um zu ergänzen: „Wenn wir in der Lage sind, die hundert Milliarden Nervenzellen in unserem Gehirn zu verbinden, dann sollten wir es vielleicht auch schaffen können, sieben Milliarden Menschen auf unserem Planeten zu verbinden und so Frieden und Freiheit zu erreichen.“
Madjid Samii hat eine steile berufliche Karriere hinter sich, die schon in jungen Jahren begann. Nach dem Studium der Medizin an der Uni Mainz – vollständig durch ein iranisches Förderprogramm finanziert – wurde er dort im Alter von 33 Jahren Professor für Neurochirurgie. Er führte ein neues chirurgisches Fachgebiet ein, das bis dahin als nicht erreichbar galt. Aus diesem Grund wird er als Vater der Schädelbasischirurgie bezeichnet.
Für seine Verdienste um die Ausbildung von Neurochirurgen auf allen Kontinenten wurde er 1997 zum Präsidenten des Weltverbandes WFNS (World Federation of Neurosurgical Societies) gewählt und ist seit 2011 als WFNS-Botschafter für Afrika tätig. Unter anderem fördert die Gesellschaft derzeit rund hundert angehende Neurochriurgen auf dem afrikanischen Kontinent. Das International Neuroscience Institute in Hannover will zudem in Kürze unter seiner Leitung die gleichen Institute in Teheran und in Peking eröffnen. Für seine Bemühungen um die fortschrittliche Entwicklung der Neurochirurgie wurden Madjid Samii unzählige Auszeichnungen verliehen, darunter das Bundesverdienstkreuz für besondere Verdienste um die wissenschaftliche und praktische Entwicklung in der Neurochirurgie, das ihm durch den damaligen Bundespräsident Richard von Weizsäcker verliehen wurde.