Die Wähler werden immer älter, und die Jüngeren gehen immer seltener zur Wahl. Es breitet sich die Sorge aus vor einer Rentnerdemokratie, in der Parteien zu Lasten der Generationengerechtigkeit Politik machen. Doch die Älteren denken zukunftsorientierter als oftmals angenommen.
Ältere Menschen sind bei politischen Entscheidungen zukunftsorientierter als jüngere. Während die Älteren, etwa bei Wahlen, eher eine langfristige Perspektive einnehmen, entscheidet die jüngere Generation pragmatisch und abhängig von der aktuellen Lebenssituation. Der Grund: Ältere Menschen sind wegen ihrer politischen Sozialisation stabiler in einer politischen Weltanschauung verankert. Diese hat bei der Entscheidungsfindung Vorrang vor gegenwärtigen individuellen Bedürfnissen. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie der Bertelsmann Stiftung und des Rheingold Instituts.
Die 19- bis 32 Jährigen, so die Studie, entscheiden themenspezifischer und situativer: Politische Entscheidungen folgen stärker individuellen Bedürfnissen. „Nicht die viel diskutierte Rentnerdemokratie, sondern die kurzfristigen politischen Entscheidungen der jüngeren Generation stellen die Langfristorientierung der Demokratie vor eine Herausforderung“, sagte Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung. Die Studienautoren nennen die Jüngeren deshalb die Generation „Wahl-O-Mat“ – nach einem Instrument, das bei der Orientierung in der Angebotsvielfalt der Parteien hilft.
Nicht nur die Generationszugehörigkeit hat Einfluss auf das politische Handeln, auch Kinder verändern die Perspektive – in überraschender Weise: Eltern äußern zwar den Anspruch, langfristig politisch handeln zu wollen, verhalten sich aber anders. In der Gruppe der Eltern mit Kindern unter zehn Jahren sagen 74 Prozent, dass Politik auf die Lösung heutiger Probleme ausgerichtet sein sollte. Insgesamt hingegen stimmen dem nur 63 Prozent der Befragten zu. Die tiefenpsychologischen Interviews, die Kernbestandteil der Studie sind, zeigen ein gewisses Paradoxon. Die hohe Beanspruchung im Alltag führt zu einer größeren Orientierung an aktuellen Bedürfnissen, obwohl sich Eltern generell von den Parteien eine Politik wünschen, die sich langfristig am Wohl ihrer Kinder orientiert.
Bezogen auf die Zukunftsorientierung der Politik klaffen Anspruch und eigenes Handeln generell stark auseinander. Während sich fast zwei Drittel der Bürger eine langfristige Orientierung von Politik wünschen, treffen sie ihre Entscheidung immer kurzfristiger und tagesaktueller vor einer Wahl. In den 70er Jahren gaben noch 65 Prozent der Bevölkerung an, bei jeder Wahl dasselbe politische Lager oder dieselbe Partei zu wählen. Heute sagen dies nur noch 42 Prozent.
Vor allem äußere Einflüsse führen laut der Studie dazu, dass die Zukunftsorientierung im
eigenen Handeln über alle Generationen hinweg abnimmt. Viele Menschen äußern sich besorgt über die Weltwirtschafts- und Finanzkrise und fürchten Auswirkungen auf Deutschland. Aus einem Gefühl der Überforderung entsteht der Wunsch, den Status Quo zu bewahren. Immer mehr Wähler empfinden die Welt als zu komplex, um sich zuzutrauen, Weichenstellungen für die Zukunft als richtig oder falsch zu beurteilen.
Stattdessen konzentrieren sie sich eher auf die überschaubare Gegenwart. Das Bedürfnis nach langfristiger Stabilität und Sicherheit über alle Generationen hinweg bleibt von diesem Trend aber unberührt: Die Bürger erwarten von Politik, dass sie sich um die Lösung langfristiger Probleme kümmert. Sie fühlen sich unwohl, wenn Parteien und Regierungen nur auf tagesaktuelle Probleme zu reagieren scheinen und keine Zukunftsvisionen vermitteln. „Politik darf Zukunftsorientierung nicht zu Gunsten von mehr Stimmen bei der nächsten Wahl vernachlässigen“, sagte Dräger. Die Studienautoren empfehlen daher eine Debatte darüber, ob Selbstverpflichtungen der Politik zu Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit die Zukunftsfähigkeit unserer Demokratie stärken können.