Rietberg. Ein Flugzeug hat Mathilde Kleinegesse schon von innen gesehen, schließlich ist ihr Enkel Pilot. Geflogen ist sie aber noch nie. Die 101-jährige Varensellerin ist seit mehr als einem Jahrhundert die Bodenständigkeit in Person. Fliegen? Nein, danke. Das sei nun wirklich nichts für sie. Die Rentnerin beschäftigt sich lieber mit anderen Dingen. Zum Beispiel mit Dieter Kaimann. Der 75-Jährige macht mit beim Besuchsdienst der Stadt Rietberg.
Wenn es donnerstags an der Haustür am Sinnerweg klingelt, dann weiß Mathilde Kleinegesse: Dieter ist da. Seit anderthalb Jahren steht dieser Termin jede Woche im Kalender. Im August 2014 hatte Dieter Kaimann aus Westerwiehe entschieden: Diese „Besuche auf Bestellung“ für ältere Menschen, die die Wohlfahrtsverbände in Kooperation mit der Stadt anbieten, sind eine gute Idee, da mache ich mit.
Einmal pro Woche eine Stunde Ansprache und Unterhaltung für Menschen, die nicht mehr oft vor die Tür kommen – das ist der Grundgedanke des Angebots. Inzwischen sind es regelmäßig zwei Stunden, die der Westerwieher „seiner“ Mathilde Kleinegesse wöchentlich schenkt. Dann sitzen sie meistens in der Stube und tauschen Neuigkeiten aus. Die Themen sind vielfältig: Von wichtigen Ereignissen im Nachbar- und Bekanntenkreis über das aktuelle politische Geschehen bis hin zu dem grausamen Mord an einem Mann in Westerwiehe vor einigen Wochen. „Wir bequatschen alles“, sagt Dieter Kaimann. Da trifft es sich gut, dass Mathilde Kleinegesse zwar körperlich nicht mehr so fit ist wie eine 50-Jährige, der Geist aber einwandfrei funktioniert. Darüber freut sich die Varensellerin besonders. Alt fühlt sie sich nicht. „Sehe ich aus wie 101? Ich glaube nicht“, sagt sie. Nur ihr Gehör, das könnte besser sein, wünscht sie sich. Und laufen ohne Rollator – das würde sie gern noch können.
Wenn Dieter Kaimann viel Zeit hat, erfüllt er der betagten Dame sogar Extrawünsche: Er erledigt Anrufe bei der Krankenkasse oder beim Arzt, kauft ein oder ermöglicht Mathilde Kleinegesse mit seinem Auto einen Besuch auf dem Friedhof in Neuenkirchen. Gefälligkeiten, die er gern übernimmt: „Es macht mir großen Spaß, Mathilde das eine oder andere Vergnügen zu bereiten. Ich bekomme dafür viel zurück, es ist eine schöne Erfahrung, helfen zu können.“
Und Mathilde Kleinegesse? Sie ist heilfroh, dass sie damals vor anderthalb Jahren den Entschluss gefasst hat, selbst bei der Stadt Rietberg anzurufen und zu sagen, dass sie beim Besuchsdienst mitmachen möchte. Dass es den gibt, findet sie wunderbar. Inzwischen habe sich eine richtige Freundschaft zwischen ihr und ihrem Besucher entwickelt. Es sind eben die kleinen Dinge, die den Alltag verschönern. Auf Höhenflüge kann Mathilde Kleinegesse daher getrost verzichten.